Oberliga ·
Am Tag danach sollte man besser keine Artikel schreiben, da einem wenig erfindungsreichen Redakteur nur stilistisch fragwürdige Wortschöpfungen gelingen. Zum Beispiel: Wenn Träume wahr werden! oder Größter Triumph der Vereinsgeschichte!. Ich habe das Verfahren abgekürzt und einfach ein großen fetten Punkt hinter das gesetzt, was den Schachspielern des SV Hellern zum ersten Mal in ihrer Vereinsgeschichte gelang: der Aufstieg in die Oberliga, die bundesweit dritthöchste Spielklasse und die höchste Spielklasse im Schachverband Niedersachsen.
Und das ist das Siegerteam!

V.l.n.r.: Martin Locke Hart, Stefan Röhrich, Jörg Stock, Franz Ernst, Stephan Niendieker. Peter Kovermann, Jan Wöllermann, Hans-Jürgen Bade
Maßgeblich am Erfolg beteiligt war auch Reinhold Happe, der in der letzten Runde verhindert war. Reinhold spielte viermal - und gewann viermal!

R. Happe (r.) im Spiel gegen Werder Bremen III
Die Situation vor dem letzten Spieltag war klar: Hellern führte die Tabelle mit +1 an und konnte durch einen Sieg bei der SG Niederelbe aus eigener Kraft den Aufstieg schaffen. Zusätzlich war der Blick nach Bremen gestattet, wo der Verfolger SG Schinkel die schwierige Hürde bei Werder Bremen III meistern musste, um von einem Ausrutscher unserer Mannschaft zu profitieren. Pikant: Niederelbe hatte eine Runde zuvor durch einen Sieg bei unserem Nachbarn Schinkel dafür gesorgt, dass wir nach dem kurzzeitigen Verlust der Tabellenführung wieder das Privileg hatten, alles aus eigener Kraft zu schaffen. Und klar war auch, dass die sportlich fairen Spieler der SG Niederelbe nichts abschenken würden. Uns stand ein heißer Sonntag bevor.
Während unsere Verfolger in den vergangenen Monaten häufig mehr als nur einen Bonuspunkt mitnehmen durften, hatten auch wir einmal Glück: die Partie am 6. Brett wurde nach einer Stunde zu unseren Gunsten entschieden, da Schachfreund Guido Griemsmann nicht zum Wettkampf erschienen war und damit seinen Mannschaftskameraden einige Rätsel aufgab. Davon profitierte unser Jan Wöllermann, der sich fortan auf die Bio-Arbeit am Montag vorbereiten durfte und eifrig die Zusammensetzung von DNA-Ketten studierte. Der Mannschaftsführer durfte derweil studieren, wer am Schachbrett mit einem Sieger-Gen ausgestattet ist, was ihn zeitlich auf die Folter spannte, denn zunächst passierte wenig.
Strategisch setzten dann Stephan Niendieker und Peter Kovermann erste Duftmarken. Beide konnten mit den schwarzen Steinen schwierige Aufgaben mit einem schnellen Remis abstoßen:

Stephan Niendieker (r.) hatte eine neue Eröffnungswaffe ausgepackt und durchkreuzte damit die Vorbereitung von FM Uwe Kottke (l.). Mit 4 P von 9 konnte Stephan, der gegen keinen Titelträger verlor, seine schwere Aufgabe am 2. Brett (Brettschnitt fast 2100) sehr gut lösen.

Im Fußball würde Peter Kovermann (r.) auf der 6er-Position spielen: Deckung verstärken, die Null halten und auf keinen Fall Gegentore zulassen. Den Job erledigte Peter mit 4 P von 7 (+2 =4 -1) außergewöhnlich gut. Mit Prof. Dr. Schoof konnte Peter einen gefährlichen Spieler in Schach halten, womit wir unseren Vorsprung auf 2-1 ausbauen konnten.
Danach passierte nichts! Es dauerte fast drei Stunden, bis sich erste Vorteile an den Brettern 8, 7 und 3 abzeichneten. Allerdings deutete unser Spitzenbrett schon an, dass er problematisch steht, so dass allen klar wurde, dass es eine knappe Sache werden würde.
Wie immer in unseren Wettkämpfen überstürzten sich in der Phase vor der ersten Zeitkontrolle die Ereignisse. Stefan Röhrich hatte gegen Thomas Cuno einen Bauern erobert und lehnte trotz extremer Zeitnot ein Remisangebot ab, während Franz Ernst nicht nur mit seinem nominell schwächeren Gegner rang, sondern auch mit einer schweren Erkältung, die keine gute Grundlage für die technisch einwandfreie Abwicklung eines Turmendspiels mit Mehrbauer ist. Martin Hart knetete derweil in einer positionell deutlich besseren Stellung seinen Kontrahenten Axel Buck, während sich Hajo Bade mit einem der erfolgreichsten Spieler der SG Niederelbe, Dietmar Schade, eine taktische Schlacht lieferte, die sich jedweder Einschätzung aufgrund des hohen Chaospotentials entzog.
Dann ging es Schlag auf Schlag

Nach vier Stunden hatte Hans-Jürgen Bade (r.) seinen Gegner Dietmar Schade besiegt. Schade empfahl sich vor der Partie durch den Respekt einflößenden Score von 5 P v. 7 und konnte in dieser Partie nur durch eine gewaltige Energieleistung in die Knie gezwungen werden. Hajo, einer der zuverlässigsten Mannschaftsspieler der letzten Jahre, legte mit 63% das viertbeste Brettergebnis des Teams hin und verteidigte das 5. Brett mit Zähnen und Klauen.

Fast zeitgleich piesackte Thomas Cuno unser 3. Brett Stefan Röhrich (r.) mit tückischen Zügen. Zwar hatte Stefan einen Mehrbauern, befand sich aber nur im Besitz weniger Sekunden, um die eigentlich gewonnene Partie technisch sauber abzuwickeln. Mit dem Kontrollzug entkorkte er einen auf den ersten Blick genialen Weglenker, doch bevor einem die Spucke wegbleiben konnte, fand sein Gegner die lapidare Widerlegung und die Partie war futsch. Faktisch stand es damit nur noch 3-2 für Hellern.

Eine große Partie für den Gastgeber spielte Hubert Ahlf, der unserem Franz Ernst (l.) tatsächlich ein Remis abringen konnte. Das war nicht einkalkuliert, aber Franz nahm es gelassen: Mit 67% hatte er das drittbeste Brettergebnis abgeliefert und mit dafür gesorgt, dass unsere Bretter 7 und 8 eine Festung wurden. Zusammen mit Martin Hart holte er 13 P aus 17 Partien und legte damit einen kalkulierbaren Grundstein für den Aufstieg.

Nur wenig später musste Jörg Stock (r.) gegen FM Peter Hertel verdient die Segel streichen. Der Cadenberger FIDE-Meister hatte mit Geduld und Spucke das Konterpotential eines igel-ähnlichen Aufbaus sehr überzeugend zur Geltung gebracht und kam wie Jörg auf eine Bilanz von 5 P v.9. Unser erstes Brett hat sich den Saisonausklang sicher anders vorgestellt, darf aber dank einer grundsoliden Leistung am 1. Brett zufrieden sein.
Es stand de facto 3,5-3,5 und nun lag es an Locke. Genauso wie Hajo Bade ist Martin Hart ein Spieler der Goldenen Jugend aus den 80er Jahren, der über die Jahrzehnte seinen Platz in der ersten Mannschaft mit überragenden Leistungen verteidigt hat. Und genauso wie Hajo musste er die Ärmel hochkrempeln, um seinem Team einen großen Traum zu erfüllen.

Der für seine Verteidigungskünste bekannte Axel Buck musste über die gesamte Distanz halten und klammern, was das Zeug hielt, da Martin Hart (l.) schon früh für strukturelle Schwächen in der Bauernformation gesorgt hatte. Nach über vier Stunden wurde Locke mit einem Qualitätsgewinn belohnt, allerdings setzte das 7. Brett des Gastgebers seine Hoffnungen auf einen gedeckten Freibauern. Dieses Störfeuer konnte Locke aber hochkonzentriert ausschalten und es passte zu der kinoreifen Spannung im Turniersaal, als unser Mann mit einem krachenden Turmopfer seinen Gegner zur sofortigen Aufgabe zwingen konnte.

Das wars. Axel Buck (l.) gratulierte zum Sieg. Mit 7 P v. 8 und 88% hatte Martin Hart ein spektakuläres Brettergebnis hingelegt und den Aufstieg wasserdicht gemacht.
Großes Drama, große Helden. Der Aufstieg in die Oberliga ist unser größter Erfolg und ist unter normalen Umständen nicht zu toppen. So mancher hat uns nach dem Aufstieg mit den Worten gratuliert Wir sehen uns in einem Jahr wieder. Das war keineswegs sarkastisch gemeint, sondern ist der Tatsache geschuldet, dass das sportliche Niveau in der Oberliga einige Lichtjahre von unserer Landesliga entfernt ist. Die letzten beiden Aufsteiger aus der Landesliga haben da oben böse einstecken müssen, für den einen oder anderen war der Aufstieg ein Pyrrhussieg, der teuer bezahlt werden musste. Tatsächlich beginnt mit der Oberliga der Bereich, in dem das Schachspiel auf semi-professionelle Weise betrieben werden muss. Wer überleben will, muss investieren das dies geht, haben andere bewiesen. Mal schauen, was geht. Das gemeinsame Erlebnis einer herausragenden Saison kann den Aktiven aber keiner nehmen.
Bedanken müssen wir uns auch beim Gastgeber SG Niederelbe, der (wieder einmal) für eine vorbildliche Ausrichtung und ein gediegenes Ambiente sorgte. Auch sportlich traten die Cadenberger vorbildlich auf: Sie kämpften hart und verbissen, als ginge es für sie noch um den Aufstieg. Hier wurde uns nichts geschenkt und dies sollte ein Vorbild für alle Mannschaften sein, die nach Erreichen des Saisonziels auseinander fallen und damit beginnen, Geschenke zu verteilen.
Ein dickes Lob gebührt auch unserem härtesten Verfolger, der SG Schinkel. Unser Ortsnachbar hat als Aufsteiger großen Sport geboten und uns als einziges Team besiegt.
Exzellent war übrigens unser Aufenthalt in Cadenberge: das Quartier im Weißen Roß war prima und das Bowlingturnier im Marc 5 war für einige der wahre sportliche Höhepunkt des Wochenendes. Na ja, Letzteres muss ich mit den Beteiligten noch ausdiskutieren, denn in dieser Sportart werden wir die Oberliga garantiert nicht erreichen. Hmmm, allerdings wackelte der Bahnrekord einige Male und vielleicht sollte man es sich doch noch einmal überlegen


Dr. Ortwin Thal